"Engel der Barmherzigkeit"

Streben nach Ruhm? - Eine Reportage von Oliver Stroh

Sonntag, elf Uhr. Eine unwirtliche Zeit für Schüler und trotzdem wuselt es in der Turnhalle des PGA. Die Turnhalle zeigt sich in ungewohnter Optik: Der Boden ist mit Teppich bedeckt, Stuhlreihen stehen vor der massiven Holzbühne. Gerade hämmert ein Schüler Graphen an die Bühnenrückwand. „Passt die Höhe?“ „Ja, Lisa hat hohe Schuhe an, die kommt da dran“, antwortet Franziska Scholl pragmatisch. Die Hauptprobe der TheaterAG steht an, der vorletzte Durchgang vor der Premiere. In Zeiten, in denen „Talent“-Showformate wie „Deutschland sucht den Superstar“ allgegenwärtig sind, vergisst man leicht, wo echte Künstler sich Anerkennung verdienen: Auf der Bühne, vor echtem Publikum, ohne Knebelverträge und Ausleuchtung ihrer mitleiderregenden Hintergründe. Der Weg zum Ruhm eines Artisten führt über die Bühne, und nicht selten beginnt er in der Schulzeit. In den Turnhallen, Aulas und Schulhöfen machen die Stars von Morgen ihre ersten Schritte auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Ist es Streben nach Ruhm, das die Künstler antreibt? Oder zählen für diese Schüler, die ihr Talent nicht vor Jurys, sondern vor ihren Kameraden beweisen, andere Aspekte? Während Regina Kland, eine der regieführenden Deutschlehrerinnen, ihre Schülerin Franziska Schmidt um Hilfe bei der Kostümauswahl bittet, wirft sich der 17-jährige Enrico Nezirovic in Anzughose und Rollkragenpulli. Er verkörpert einen an Burnout leidenden Abteilungsleiter im rabenschwarzen Stück „Engel der Barmherzigkeit“ von Gabriele Brotzeller. Seit der fünften Klasse spiele er Theater; zum ersten Mal im PUT. Inzwischen habe er vor, nach dem Abitur beruflich in diese Richtung zu gehen. „Die Anerkennung des Publikums spielt eine große Rolle, es geht um Unterhaltung.“ Jana Frey, die das erste Mal im Kindergarten auf der Bühne stand, meint: „Mir macht es Spaß, in Rollen zu schlüpfen“. Melanie Kain, die andere Leiterin der AG, will mit dem Proben beginnen. Lisa Wenk begutachtet die Skala an der Wand. „Wie soll ich da oben hinkommen?“, fragt sie und reckt sich vergeblich in ihren hohen Schuhen. Schließlich genügt das Bühnenbild der allgemeinen Zufriedenheit, die Hauptprobe beginnt. Michael Habel von der Technik dämpft das Licht und richtet den Scheinwerferkegel auf die vier Engel am Bühnenrand. Frau Kain markiert mit Klebeband die Stellen, an denen die vier sich bei jeder Aufführung aufstellen sollen. Im Off warten die Akteure auf ihren Einsatz. Enrico geht im Schein einer Taschenlampe den Text durch. Es herrscht künstlerisches Chaos. Leere Prosecco-flaschen warten auf ihren Einsatz als Requisite, Brottüten liegen neben Sägen, dazu gesellen sich Spielzeugpistolen. Auf der Bühne halten zwei Engel, Hanna Buchholz und Jana Frey, ihren Dialog, als plötzlich Telefonklingeln aus den Lautsprechern tönt. „'tschuldigung“, tönt es vom Gerüst am hinteren Hallenende, der Technik-Zentrale. Das Klingeln kam zu früh – also wird die Szene wiederholt. Als Chef Ithuriel alias Christoph Büchler von der Bühne stürmt und die Tür zuschlägt, wackelt die Wand – Frau Kain bangt um ihr Bühnenbild. Früher, so Kain, habe sie selbst Theater gespielt, in der Schule oder bei den Pfadfindern. In Regie hatte sie aber noch keine Erfahrung, als sie mit ihrer Kollegin die Leitung der Oberstufengruppe übernahm. Frau Kland kann einen etwas professionelleren Hintergrund vorweisen: „Ich hatte eine Musical-Ausbildung in Wien begonnen. Die musste ich aber wegen Bandscheibenproblemen aufgeben.“ Ein krebskranker Mann (Robin Goldmann) verlässt gerade die Bühne, verwandelt sich durch Ablegen von Bademantel und Kappe in einen Jugendlichen und wird anschließend durch Sonnenbrille und Palästinenser-Tuch zum Terroristen. Welche Rolle spielt denn nun der Ruhm bei den jungen Akteuren? Paula Goth meint: „Über Ruhm mache ich mir kaum Gedanken“. Wenn sie Theater spiele, ist es natürlich schön, wenn das Publikum Leistung anerkenne. “Erfolgreich schauspielern, das bedeutet, Spaß haben“. Drei Tage später ist er da, der Tag der großen Premiere. Vor Stuhlreihen voll besetzt mit Klassenkameraden, Verwandten, Freunden und Lehrern geben die Schüler ihr Bestes und präsentieren, wofür sie knapp ein halbes Jahr gearbeitet haben. Alles läuft glatt. Jeder Einsatz sitzt, die Pointen treffen, der ein oder andere Stocker wird gekonnt überspielt und das Publikum spendet lauten Beifall. Als die Scheinwerfer zum letzten Mal erlöschen, sind alle zufrieden. Und in den strahlenden Gesichtern der jungen Akteure kann man lesen, dass sie ihn doch genießen, diesen kurzen Anflug von Ruhm.

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Zum Stück: …Der Himmel betreibt schon länger eine Hotline für potentielle Selbstmörder. Die Mitarbeiter dieses himmlischen Call Centers beglei­ten Verzweifelte bei ihrer letzten Entscheidung. Dabei wandern die Engel zusehends auf einem schmaleren Grat: Zwar sollen sie den freien Willen der Menschen achten und die­jenigen unterstützen, die sich für das Leben ent­scheiden, gleichzeitig aber ist der Himmel inzwischen voll­ständig industrialisiert und straff durchorganisiert. Neben Gott kennen die Engel nur noch eins: die Quote. Sie müssen ein Mindestsoll an erfolgreichen Selbstmorden erfüllen, da andernfalls die Schließung der Abteilung droht. Jeder Mitarbeiter reagiert auf seine Weise auf diese absurde Situation und auf den Zwiespalt zwischen Leistungsdruck und moralischer Verpflichtung. Da gibt es den autoritären Obersekretär, den hoffnungslos überforderten und ausgebrannten Abteilungsleiter, die pflicht­bewusste Service-Providerin, die rück­sichtslose Karrieresau, die verantwortungsvolle Zweiflerin und die Sensible, die mit ihren wachsenden Schuldgefühlen kämpft. Den Engeln gegenüber steht ein breites Spektrum an Anrufern von verzweifelten Ehefrauen, ungeliebten Kindern bis hin zum skrupellosen Terroristen. Nur eines haben alle gemeinsam: Jeder Anruf bei den „Engeln der Barmherzigkeit“ ist ein Anruf beim Schicksal. Wie lange wird die Heilerkaste dem unmoralischen Treiben noch zusehen? Und was weiß eigentlich der oberste Chef?  Engel der Barmherzigkeit – ein rabenschwarzes, provokantes Stück, das vor aktuellen Problemen nicht die Augen verschließt.

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CAST "Engel der Barmherzigkeit"

Die Engel:

Teamleiter Rhamiel

Enrico Nezirovic, 10c

Amatiel

Lisa Wenk, Q12

Cassiel

Hanna Buchholz, Q12

Halliza

Jana Frey, Q12

Irin

Franziska Scholl, Q12

Obersekretär Ithuriel

Christoph Büchler,Q12

Heilerkaste Helena

Paula Goth, 11

Vollzugsbeamter

Robin Goldmann, Q11

 

Die Anrufer:

Judy (flieht vor ihrem Mann)

Franziska Schmidt, Q11

Frau (hat sich verwählt)

Franziska Schmidt, Q11

Oliver (Krebspatient)

Robin Goldmann, Q11

Monika (am Bahnhof)

Franziska Schmidt, Q11

Sina (verzweifelte Schülerin)

Sophia Nezirovic, 8a

Wendy (Geldsorgen)

Franziska Schmidt, Q11

Paul (will Aufmerksamkeit)

Robin Goldmann, Q11

Terrorist (Flugzeuganschlag)

Robin Goldmann, Q11

Svenja (hat sich verwählt)

Naz Naaman Omar, 7c

  

TechnikMichael Habel, Q11, Rainer Wölfel, Markus Ott, Johannes Bayer

RegieStRin Regina Kland, StRin Melanie Enghardt (geb. Kain)

Zur Autorin Gabriele Brotzeller :  28 Jahre alt / ausgebildete Mediengestalterin Bild und Ton (IHK) mit Schwerpunkt Redaktion / Drehbuchautorin, Theaterautorin, Werbetexterin / Redakteurin und Regisseurin / StandUp Comedian / seit 8 Jahren im Theaterbusiness: Regiehospitanzen in Paderborn / Regieassistenzen in Düsseldorf und Aachen / Rollen beim Theater Dreieck in Würzburg / ein Theaterstück veröffentlicht / seit 6 Jahren im Filmbusiness, mehr als 50 Projekte erfolgreich konzipiert und umgesetzt (www.autorenfront.de)

Bildergalerie

Aufführungsbilder

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Cast

Hanna_Halliza7.JPG Franzi_Irin_Engel5.JPG Franzi_Anruferin7.JPG Enrico_Rhamiel2.JPG Jana_Cassiel2.JPG Lisa_Amatiel7.JPG Robin_Anrufer5.JPG Paula_Helena5.JPG Christoph Büchler_Ithuriel.jpg

Wir in der Presse

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